Gottes Neue Offenbarungen

Die Drei Tage im Tempel

Gespräche des zwölfjährigen Jesus

- Kapitel 20 -

Die zweite Nacht in der Herberge. Joram und Barnabe auf der Suche nach passenden Jesaiastexten

Ich, der Richter und der alte Simon begaben uns in die Herberge, in der wir schon eine Nacht zubrachten, und in der gewöhnlich die Nazaräer in Jerusalem sich aufzuhalten pflegten.
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Denn es war in Jerusalem schon eine alte Sitte, daß eine jede Stadt vom ganzen Judenreiche eine den gleichen Namen tragende Herberge hatte. Und das war darum, daß, wenn jemand von Jerusalem oder auch von einer andern Stadt mit jemandem etwas abzumachen hatte oder einen andern Aufschluß aus irgendeiner Stadt haben wollte, er bloß in die gleichnamige Herberge zu gehen brauchte und dort sicher täglich einen oder auch mehrere aus der gleichnamigen Stadt nach Jerusalem in irgendwelchen Geschäften Angekommene antraf.
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Diese Sitte hatte sich mit der Zeit auch nach Europa verbreitet. In früheren Zeiten hatten die Aushängeschilder der Gasthäuser eine ähnliche Bestimmung; in der Jetztzeit ist davon freilich nahezu keine Spur mehr.
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Ich habe dies nur angefügt, damit man später leichter begreifen wird, wie Meine Nähreltern Mich am dritten Tage als am Tage ihrer Rückkunft, und zwar gegen den Abend hin, ganz leicht haben finden müssen, da sie in der Herberge namens ,Nazareth` Mich ehest erfragt hatten, wo Ich Mich des Tages aufgehalten habe.
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Die Templer hatten nach ihrem Abendmahl sich diesmal auch zum größten Teile zur Ruhe begeben. Nur Joram und Barnabe nahmen den Jesaias zur Hand und suchten darinnen Texte, die auf Mich oder auf irgendeinen andern Messias nicht sonderlich passen würden. Mit der Zeit aber wurden auch die beiden vom Schlafe übermannt und begaben sich zur Ruhe.
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Wie ein Augenblick verfliegt für die Müden die Nacht; und so war es auch hier der Fall. Die Templer wollten sich noch einmal umdrehen, aber der schon sehr hell gewordene Tag forderte sie zum Wachbleiben auf und sich zu begeben an ihr ihnen obliegendes Geschäft, was ihnen für den Tag gar nicht munden wollte - auch sogar Joram und dem Barnabe nicht, weil sie im ganzen Jesaias keine so recht schlagende Stelle finden konnten, die Mich zum Schweigen hätte nötigen können.
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Joram sagte beim Suchen zum Barnabe: ,,Man ist ja gerade wie verhext! Sonst habe ich gleich ein paar Dutzend der für diesen Zweck passenden Stellen gerade auf der Nase sitzen gehabt - und jetzt suche ich schon eine Stunde lang wie ein müder Rabe sein Nest und finde nichts, aber auch gar nichts!"
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Sagte Barnabe: ,,Liegt aber ja auch gar nichts daran! Wollte der Knabe denn schon durchaus zufolge seiner außerordentlichen Eigenschaften, so sie ihm auch im Mannesalter verbleiben, Messias werden wollen, na, so soll er dabei bleiben! Da liegt doch wahrlich nicht gar besonders viel daran! Verlassen ihn etwa späterhin diese Eigenschaften, da wird er seine Idee schon von selbst fahren lassen! Nimm aber das Buch dennoch mit, denn wir könnten es etwa doch noch brauchen im Verlaufe des heutigen Tages! - Nun aber gehen auch wir in den Sprechsaal, denn es werden dort schon die meisten versammelt sein!"
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Darauf erhoben sich beide und begaben sich schleunigst in den Sprechsaal.

Fußnoten