Biographisches Evangelium des Herrn von der Zeit an, da Joseph Mariam zu sich nahm
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13. Mai 1844 |
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 e länger aber nun die Tullia das Kleine auf den Armen hatte, desto mehr erkannte sie ihre Lebensfehler in sich und weinte darob sehr von Zeit zu Zeit.
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Da richtete Sich das Kindlein auf und sprach zur Tullia: ,,Du Meine liebe Tullia! Das gefällt Mir schon wieder nicht von dir, daß du nun in einem fort weinest, da du Mich doch auf deinen Armen hast!
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Sei nun heiter und fröhlich; denn Ich habe kein Wohlgefallen an den Tränen der Menschen, wenn sie da fallen, wo sie nicht vonnöten sind!
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Meinst du etwa, deine Tränen werden reinigen dein Herz von aller Sünde vor Mir?
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O siehe, das ist töricht! Die Tränen gleiten wohl über deine Wangen und trüben deine Augen, was dir schädlich ist sogar, -
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aber übers Herz gleiten die Tränen nicht und reinigen es auch nicht; wohl aber machen sie es oft verschlossen, daß dann weder etwas Gutes noch etwas Böses in selbes eingehen kann!
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Und siehe, das bringt dann auch den Tod dem Geiste, der im Herzen wohnet!
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Denn ein trauriger Mensch ist stets ein beleidigtes Wesen, und dieses Wesen ist für nichts aufnahmefähig.
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Nur drei Tränen habe Ich in das Auge des Menschen gelegt, und diese sind: die Freudenträne, die Mitleidsträne und die Träne, die der Schmerz erpreßt.
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Diese allein mag Ich sehen; aber die Trauerträne, die Reueträne und Zornträne, die aus dem Mitleid mit sich selbst entsteht, sind Früchte des eigenen Grund und Bodens und haben bei Mir einen geringen Wert.
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Denn die Trauerträne entstammt einem beleidigten Gemüte und verlangt Ersatz; kommt dieser nicht, so umwandelt sich ein solch Gemüt leicht in einen geheimen Zorn und endlich in ein Rachegefühl.
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Die Reueträne ist ähnlichen Ursprungs und kommt erst dann nach der Sünde zum Vorscheine, so eben die Sünde eine wohltätige Züchtigung nach sich gezogen hat.
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Dann aber ist sie keine Träne über die Sünde, sondern nur eine Träne ob der Züchtigung und darum auch über die Sünde, weil diese die Züchtigung zur Folge hatte.
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Auch diese Träne bessert das Herz nicht; denn der Mensch flieht dann die Sünde nicht aus Liebe zu Mir, sondern nur aus Furcht vor der Strafe; und siehe, das ist ärger denn die Sünde selbst!
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Was aber die Zornträne betrifft, so ist sie nicht wert, daß Ich von ihr ein Wort spräche; denn diese ist ein Quellwasser aus dem Fundamente der Hölle!
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Diese Träne aber befeuchtet wohl dein Auge nicht, sondern nur die Reueträne.
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Ich aber sage dir: Trockne dir auch diese von deinen Augen; denn du siehst ja, daß Ich an ihr keine Freude habe!"
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Hier wischte sich die Tullia die Tränen aus ihren Augen aus und sprach: ,,O Herr! - Wie endlos weise und gut bist Du doch!
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O wie heiter und fröhlich könnte ich sein, wenn ich keine Sünderin wäre!
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Aber ich habe in Rom auf Geheiß des Kaisers einem Götzen des Volkes wegen geopfert, und diese Tat nagt wie ein böser Wurm an meinem Herzen!"
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Und das Kindlein sagte: ,,Diese Sünde habe Ich dir schon eher vergeben, als du sie begangen hast.
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Aber du warst Mir um die Liebe des Cyrenius neidisch; - siehe, das war eine grobe Sünde! - Ich aber habe dir nun alles vergeben, und du hast keine Sünde mehr, weil du Mich wieder liebst; daher aber sei fröhlich und heiter!"
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Darauf ward die Tullia, wie alles im Hause Josephs, wieder voll Heiterkeit, und alle begaben sich darauf zum Nachtmahle.
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